„Die letzte Sick em Kalender“ – so heißt nicht nur der Abschlusssong meines Albums „jestern, hück, morje“, welches 2009 erschienen ist. So ist auch das Motto meiner letzten Tage im Jahr.
Seit nunmehr 15 Jahren laufe ich mit diesem Jahresendohrwurm bis mindestens Silvester durch die Gegend und nehme mir nichts anderes vor, außer nach einer sehr stressigen Weihnachtstourzeit einen Gang runterzuschalten.
„Die letzte Sick em Kalender, die bliet leer“ halt. Wobei, ganz leer bleibt sie auch nicht. Zumindest nicht, wenn es um eines der wertvollsten Dinge meines Lebens geht: Meine Tagebücher. Seit ungefähr zwanzig Jahren halte ich mein Leben akribisch fest. Ich investiere sehr viel Zeit und Liebe in die zum Teil sehr ausführlichen Beiträge, die manchmal fünf bis sechs DinA4-Seiten lang sind, und die ich meistens gar nicht zu Hause schreibe, weil ich in Köln zu so etwas nicht komme. Am Ende des Jahres lasse ich es dann immer als Hardcoverbuch binden, und inzwischen kommt da schon ein stattliches Bücherregal zusammen. Auf dem Cover sieht man stets einen besonderen Moment oder eine sehr wichtige Erinnerung des Jahres. So ziert das 2019er Buch ein Foto aus der Fotosession, die ich in Nashville gemacht, und wo ich in dem Jahr mein „Kopp voll Dräum“-Album aufgenommen habe. Das ist noch immer eine der besten Wochen meines musikalischen Lebens in meiner Erinnerung. Oder beim 23er-Buch das Foto aus der LanxessArena, wo ich gemeinsam mit Wolfgang Niedecken auf der Bühne stehen, und ihn bei „Kölle singt“ als meinen Gast begrüßen durfte. Absoluter Wahnsinn. Natürlich gibt es auch die Bücher, wo meine Mutter oder mein Vater auf dem Cover sind, weil sie in den Jahren gestorben sind. All das gehört zum Leben, so furchtbar es manchmal auch ist.
Ich ertappe mich sehr oft dabei, dass ich eines der alten Bücher meines Lebens zur Hand nehme, und ausführlich darin schmökere. Es ist total spannend zu sehen, wie sich Einstellungen, Gefühle, Beziehungen, Orte und Geschmäcker verändern. Wie man zu dem Menschen wird, der man „jetzt“ ist. Wenn man es schwarz auf weiß liest, ist die Entwicklung viel greifbarer, man kommt sich selbst näher. So ist es jedenfalls bei mir. Und wenn ich mich auch manchmal regelrecht zwingen muss, ein Update zu schreiben, so ist es doch am Ende jede Sekunde Arbeit wert. Denn nichts im Leben kommt zurück, kein Tag, keine Sekunde, kein Mensch. Wenn man aber wenigstens ein paar dieser Momente nicht nur im Herzen festhält, sondern auch auf Papier, kommt man nochmal näher und konkreter an diese Erinnerungen ran. Das Herz verblasst irgendwann, ob man es will oder nicht. Im Kopf verändern sich manchmal auch Erinnerungen, das hat wahrscheinlich jeder schonmal erlebt. Papier ist standhaft. Bis das verblasst, werde ich wohl nicht mehr auf der Erde sein.
Und wenn ich jetzt hier so sitze unter’m Dach und meine ganzen Jahre im Buchregal nebeneinander stehen sehe, wird mir warm ums Herz. Denn es zeigt schon von außen – ohne darin zu lesen -, dass es doch irgendwie immer weitergeht. Und es ist zum Glück noch Platz im Regal. Mein Fortsetzungsroman kann, soll und muss noch etwas weitergehen.
Meinetwegen gerne!
Und so bleibt die „letzte Sick em Kalender“ nicht ganz so leer, denn den letzten Eintrag des 24er Buches habe ich mir für morgen Vormittag vorgenommen. Was allerdings dieses Jahr aufs Cover kommt, bleibt mein kleines Geheimnis.
Wir lesen uns im nächsten Jahr hier wieder. Danke für eure Treue und kommt gut rüber!
Üre Björn
Foto: Rebecca Schindler, Starnberger See / Februar 2024