Ein Dienstagmorgen im Juni. Der Sohnemann darf endlich wieder in die Kita, auch die Ehefrau hat das Home-Office inzwischen wieder verlassen und ist ins Büro zurückgekehrt. So langsam scheint die lang ersehnte „Normalität“ nach der Coronakrise einzukehren. Wenn man durch die Stadt läuft, sieht man nur noch an vereinzelten Mund- und Nasenmasken, dass wir gerade aus einem akuten Notstand zurückkehren. Alles normalisiert sich wieder.
Alles? Nein, leider längst nicht alles.
Wir Künstler – und damit sind nicht nur die Menschen auf der Bühne gemeint, sondern auch die unfassbar vielen Menschen im Hintergrund (Techniker, Agenturen, Event-Dienstleister etc.) – wurden als erstes aus dem Verkehr gezogen, und wir werden die Letzten sein, die wieder ihren Job in der Ursprungsform ausüben können. Seit dem letzten Gig an Karnevalssamstag ist für uns durchgängig bis Juni Aschermittwoch. Wer Glück und gut gewirtschaftet hat, hat Rücklagen, das ist klar. Aber auch die halten nicht ewig, und so lebe ich mit meiner Familie von meiner Altersvorsorge. Mit 38 Jahren! Ist noch relativ jung für sowas, oder? Vom Staat ist da leider gar nichts zu erwarten, die Künstler müssen sehen, wo sie bleiben. „Ihr seid doch kreativ – lasst euch was einfallen!“. Ja, danke.
Viel schlimmer als das Tausendfache Existenzsterben zu tolerieren finde ich allerdings, dass wir einfach als nicht systemrelevant eingestuft werden. Wie unmenschlich ist das bitte? Wie kann man einem Menschen sagen, dass er nicht relevant sei? Ich war und bin zutiefst geschockt über diese Wortwahl. Für mich ist jeder Mensch etwas Besonderes, nur wenn alle Rädchen im Getriebe funktionieren, funktioniert auch das große Ganze. Und eine Branche, die circa 100,5 Milliarden (!) umsetzt als nicht relevant abzutun, erscheint mir hochgradig arrogant und frech.
Jedenfalls dürfen wir ja so langsam wieder auf die Bühne, nach einer Autokino-Dürre und unzähligen Online-Streams. Beides hat übrigens viel Spaß gemacht, aber aus wirtschaftlicher Sicht ist es leider nicht besonders hilfreich. Dass es jetzt wieder anläuft, ist auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite zeigt sich aber, dass die Gesellschaft eine Event-Angst entwickelt hat, und es jetzt wieder eine gefährliche Zeit lang dauern wird, bis man volle Häuser so bespielen kann, wie es vor Corona der Fall war. Ich habe vorgestern und gestern in der Volksbühne die „Montagslieder“ gespielt. Es war die reinste Wohltat, wieder „echte“ Menschen vor der Bühne zu spüren, zu interagieren und zu fühlen, dass das Feuer und die Leidenschaft für meinen Traumberuf noch immer brennen. Aber trotz der Tatsache, dass die Show ursprünglich restlos ausverkauft war, waren an beiden Abenden nur knapp an die fünfzig Leute im Theater. Ich war jedem Einzelnen besonders dankbar dafür! Aber ich war auch geschockt, weil sich dadurch zeigt, dass sich die Veranstaltungskultur grundlegend ändern könnte. Optimistisch und voller Motivation bin ich fast immer, nur langsam frage ich mich ernsthaft, wie wir das noch weiter durchstehen sollen. Ich habe Angst.
Nächste Woche spiele ich meine erste Show auf dem Rhein Roxy, quasi Open Air auf dem Rhein. Alle Sicherheitsauflagen werden natürlich berücksichtigt und es gibt nicht besonders viele Karten. Ich hoffe einfach mal, dass möglichst viele von euch Bock haben und sich dorthin trauen. Zwei, drei weitere Open Air-Termine an anderen Orten sind auch gerade in konkreter Planung, ich sage rechtzeitig Bescheid, wenn es News dazu gibt. Karten fürs RheinRoxy gibt es hier:
Danke jedenfalls für eure Treue und Unterstützung. Ich hoffe, dass wir es gemeinsam schaffen und durchstehen. Irgendwie. Keinen Plan, wie genau.
Üre
Björn