Neun Uhr. „Die Gedanken sind frei“ erklingt ziemlich schief, aber dennoch erkennbar von einem Turm mit Glockenspiel gegenüber. Das Treiben auf dem Heumarkt wird bunter und quirliger. Aus Businessmenschen, die schnell ins Büro hasten, werden Touristen, die meine Heimatstadt erkunden wollen. Rollkoffer auf Kopfsteinpflaster, das Grundrauschen des Rheines, die Züge auf der Hohenzollernbrücke und die Autos, die Richtung Nord-Süd-Fahrt unterwegs sind. Diese besondere Stimmung erlebe ich heute leider schon zum letzten Mal, nach einer Woche Aufenthalt über den Dächern der Stadt in einem Hotel direkt am Heumarkt. In meinem Haus standen umfangreiche Renovierungs- und Sanierungsarbeiten an, so dass es ein paar Tage nicht bewohnbar war. Also sind Frau und Kind ausgeflogen in den verdienten Sommerurlaub am Meer, und ich habe mich – weil einfach zu viele Termine anstanden und ich nicht wegkonnte – in der Altstadt einquartiert.
Schon oft hörte ich davon, dass Urlaub in der eigenen Stadt ein besonderes Erlebnis ist. Und da ist tatsächlich auch was dran! Ich habe das Veedel hier ganz anders, ganz neu kennengelernt. Normalerweise bin ich ja hier „nur“ beruflich unterwegs – es gibt vermutlich kaum eine Steckdose, die ich hier in der Kante noch nicht bespielt habe. Und klar, mit dem Sohnemann habe ich viele Ausflüge hierhin gemacht. Ich bin einfach Kölner durch und durch, da ist die Altstadt ein fester Bestandteil des Lebens. Und doch ist es irgendwie anders, wenn man hier wohnt. Sei es auch nur für eine Woche. Die Leute kennen und grüßen sich, und ich habe fast das Gefühl, dass das oft verlorengegangene Veedels-Gefühl hier stärker zu spüren ist, als in manch einem „hippen“ Stadtteil. Hier ist es an manchen Stellen echt noch richtig schön urkölsch. Hach, wie liebe ich das! Am erstaunlichsten finde ich, wie mehr oder weniger auf Knopfdruck der Charme umgestellt werden kann. Am Wochenende muss ich hier nicht unbedingt sein, da ist es eine völlig andere Welt. Aber an einem lauen Montagmorgen über den Heumarkt und den Alter Markt zu schlendern, ist schon wunderbar. Und so genieße ich auch heute die entspannte Morgenstimmung, blicke auf den Dom im Sonnenschein und den Rhein, der mit meinen Augen um die Wette glänzt.
Ja, heute wird wieder ein wunderbarer Tag. Der Sommer küsst Köln wach, ich stehe auf meinem kleinen Balkon, es duftet nach Kaffee und im Hintergrund singt leise Zucchero. Ihn habe ich letzte Woche Mittwoch als Support der Rolling Stones in Gelsenkirchen für mich entdeckt. Seitdem laufen seine Alben rauf und runter bei mir. Ein paar Hits kannte ich von ihm, hatte ihn aber nicht so wirklich auf dem Schirm. Spätestens beim zweiten Song in der Veltins-Arena hatte er mich aber. Jetzt bin ich süchtig! Was für geile Songs! Was für eine Stimme, was für eine zauberhafte Sprache!
Und während „Il volo“ langsam in „Misere“ – ein atemberaubendes Duett von Zucchero mit Luciano Pavarotti – übergeht, atme ich tief ein und bin gespannt, was der Tag bringt. Eines ist sicher: Er beginnt gerade in diesem Moment leise, entspannt und fast meditativ. Und er endet laut und emotional! Denn heute Abend steht tatsächlich mein sage und schreibe 600.es Freitagskonzert im Gaffel am Dom an. Ich merke, wie ich hier mit dem Blick auf den Dom, den Rhein und das zauberhafte Panorama melancholisch werde. Soooo viel ist passiert, seit ich im Oktober 2008 das erste Mal im Brauhaus spielte. Und ich spüre so tiefe Dankbarkeit von Herzen, dass ich das alles so erleben darf. Das ist nicht selbstverständlich. Und auch, wenn ich hart dafür arbeite und alles gebe, weiß ich, dass es ein absolutes Privileg ist, wenn man seinen Traum so leben darf, wie ich es darf. Zum 600. Mal geht das Licht aus und der Scheinwerfer an. Applaus, Jubel, Loss mer singe. Alles andere als Routine. Es bewegt mich jedes Mal. Und heute Abend sicherlich nochmal ein bisschen mehr, als sonst. Tausende Bilder, Emotionen, Situationen, verrückte, traurige, merkwürdige und abartig lustige Dinge schießen durch den Kopf, und ich weiß genau, dass wenn sich meine Gedanken so verirren, dass ich nen Texthänger habe, mich die vielen mitsingenden Menschen retten und wieder in die Spur bringen werden. Das tut so gut zu wissen! Für viele bin ich sicherlich nur der Typ, der da mit der Gitarre steht. Aber ihr könnt euch sicher sein: Dieser Typ ist unendlich glücklich und dankbar, dass er genau in diesem Moment dort stehen darf.
Bis es heute Abend soweit ist, genieße ich die letzten Stunden hier in dieser zauberhaften Unterkunft, und mache das, was ich seit meinem Einzug letzte Woche die ganze Zeit gemacht habe: Ich werde kreativ. In den letzten Tagen habe ich hier Songs geschrieben, das Textheft für die zweite Hälfte der Café Schmitz-Tour fertiggestellt, an anderen Grafiken und Projekten gearbeitet, am Programm für “Kölle singt” am 2.10. in der Arena geschraubt, mit vielen Kollegen lange telefoniert (endlich hatte ich mal wieder Zeit dazu – der Austausch ist so wertvoll!) und zufrieden und glücklich die Aussicht genossen. Ich kann hier stundenlang rausschauen, es gibt definitiv immer etwas Spannendes zu beobachten. Dieser Perspektivwechsel hat sich mehr als gelohnt.
Wie das so aussieht, wenn man im Hotel kreativ wird, seht ihr hier oben auf dem Foto. Glücklicherweise war mein Freund und Haus- und Hoffotograf Dirk Loerper in der Kante und hat mir einen Besuch abgestattet. Ich liebe seine Bilder! Und ich denke hier kann man sehr toll die Kreativität und den besonderen Spirit des „Liedermachers im Hotel“ erkennen.
So, nur noch ein paar Stunden. Was freu ich mich, wenn es heute Abend laut und wild wird! Aber gut, die aktuelle Stille hat auch was… mir levve jetz!
Bis bald – oder heute Abend?
Üre
Björn