Milde Temperaturen, fast schon Sonnenbrillen-Wetter, Touri-Ameisenhaufen-Gewusel, elf vor elf am Montagmorgen. Markusplatz, Venedig. Ich habe mir mein Laptop geschnappt, und werde zwei Tage ein ziemlich inniges Verhältnis zu diesem Gerät pflegen. Ein schönes, gemütliches Café ist schnell gefunden, mit nötigem Touri-Sicherheitsabstand, aber doch nah genug dran am Geschehen. Wie oft war ich schon hier? Ich kann es gar nicht mehr zählen. Schon als Kind war ich regelmäßig mit meinen Eltern im Sommerurlaub hier in der Gegend. Es gab Zeiten, da sprach ich besser italienisch als englisch. (Heute kann ich beides nicht mehr besonders gut.) Mich zieht es irgendwie immer wieder ans Wasser. Und davon gibt es hier nun wirklich genug.
Eine tolle Session habe ich hinter mir. Und diese ganzen Eindrücke muss man erstmal sacken lassen. Heute vor einer Woche durfte ich den Rosenmontagszug mal wieder moderieren, und sieben Tage später sitze ich in Italien und habe die Kamellerufe noch immer im Ohr. Inzwischen ist es ja schon Tradition, dass ich mich nach der Session ein paar Tage in den Kreativurlaub verabschiede. Zum einen, um nach der stressigen Endphase der Session etwas runterzukommen, zum anderen, weil schon ab nächster Woche wieder sooo viele tolle Dinge anstehen, die geplant werden wollen und müssen. Heute stehen diverse Programmplanungen an. Für das gemeinsame Benefiz-Konzert mit Wolfgang Anton nächste Woche im Vringstreff, für „Pape macht Zirkus“ im Mai, für die Montagslieder-Konzerte in der Volksbühne (April, Mai), für die Wohnzimmerkonzerte mit dem Spezialprogramm „Ming Leeder“ Ende März, für diverse andere Showcases und und und. Mein Anspruch ist und bleibt, dass das Programm immer variiert. Und da steckt eine gehörige Portion Eigennutz hinter, denn ich möchte ja nicht, dass es mir selbst irgendwann langweilig wird. Also werden heute fleißig Setlisten geschrieben, die Songs immer wieder neu ausgewählt und gemischt. Ich bin zum Beispiel eher zufällig in der Session mal wieder auf den Song „Us kölschem Holz“ gestoßen, den ich damals für die Klüngelköpp im Ursprung geschrieben habe, und den sie wunderbar ausgearbeitet und zu einem Hit gemacht haben. Weiß der Geier, warum ich die Nummer selbst noch nie gespielt habe. Jedenfalls habe ich mir jetzt vorgenommen, den Song auch hin und wieder einzubauen. Allerdings nicht ganz in der Klüngelköpp-Version, auch nicht wirklich in meiner Ursprungsversion, sondern irgendwo dazwischen. Songs leben ja unter anderem dadurch, dass sie sich selbst ständig weiterentwickeln. So liebe ich es zu arbeiten – einfach mal machen. Und so geht es mit vielen anderen Nummern auch. Lasst euch überraschen, was ich sonst noch ausgrabe!
Wenn ich heute mit der üppigen To-Do-Liste gut durchkomme, habe ich morgen den ganzen Tag Zeit, an neuen Songs zu arbeiten. Da freue ich mich sehr drauf, weil mein Kopf und mein Handy nur so überlaufen vor neuen Ideen, Melodien, Textschnipseln und Themen. Das muss endlich mal raus. In der Session hatte ich keine Zeit, morgen sollte es aber klappen. Am Mittwoch geht es dann schon wieder zurück. Mit vollem Bauch (leider schmeckt hier alles sooo gut!) und frischem Sinn. Ab Donnerstag stehen diverse Proben an, und am Freitag wird zum 499. (!) mal im Gaffel am Dom gesungen. Nächste Woche entsprechend das nächste große Jubiläum – die magischen Zahl 500! Wer hätte das jemals gedacht?
Aber ich gebe zu: ich stresse mich hier nicht. Ein leckerer Vino Bianco zwischendurch darf nicht fehlen. Der Laptop wird auch immer mal zugeklappt, die Augen geschlossen und die typisch venezianische Luft tief eingeatmet. Leben. Atmen. Glücklich und dankbar sein, dass alles ist, wie es ist. Mich auf meine Familie in Colonia freuen. Mich auf die Arbeit im Studio freuen, auf die vielen Menschen für die ich in den nächsten Wochen wieder spielen darf. Mensch sein. Wissen wo man herkommt, und trotzdem von neuen Zielen träumen. Postkarten schreiben. Mit einem echten Stift. Kein Whatsapp-Gedrisse. Von Herzen für Herzensmenschen. Mich freimachen von Stress, den ich mir selbst mache. Von unnötigen Konkurrenzgedanken, vom ständig besser sein wollen, vom immer dabei sein wollen, von der ständigen Angst, etwas zu verpassen. Am Ende verpasst man nur sich selbst.
In einem engen Kanal fährt gerade eine Gondel vorbei. Der Gondoliere singt, ein Akkordeonspieler trifft nicht unbedingt jeden Ton, der mitfahrenden Dame ist die Angst vor jeder Welle und das Unwohlsein gut anzusehen, und dem Herrn fällt das Handy beim Fotografieren der alten Fassaden fast ins Wasser. Ein ganz normaler Tag halt.